„Mit Photovoltaik ist die Energiewende machbar“
Interview mit Thomas Egger, Koordinator des Klima Clubs Südtirol
Wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen, dann müssen wir massiv auf Photovoltaik setzen. Das sagt sinngemäß Thomas Egger, der Koordinator des Klima Clubs Südtirol. Warum das so ist, erklärt er in folgendem Interview.
KulturFenster: Die Energiewende beschreibt die völlige Abkehr von fossilen Brennstoffen und Atomkraft hin zu erneuerbaren Energien. Wie ist Südtirol aktuell aufgestellt?
Thomas Egger: Nicht wirklich gut. Immerhin werden noch 80.000 Heizanlagen mit fossilen Brennstoffen, also Gas oder Öl, betrieben. Sie müssten laut „Klimaplan Südtirol 2040“ zum allergrößten Teil auf erneuerbare Energie umgestellt werden. Dazu kommt der Verkehr als größter Emittent von Treibhausgasen. Wir vom Klima Club Südtirol haben berechnet, dass es eine 40-prozentige Verringerung des motorisierten Individualverkehrs bräuchte, um die Klimaziele zu erreichen. Deshalb stehen wir da ganz am Anfang einer Mammutaufgabe.
KF: Zehntausende Heizsysteme umrüsten und Autos und Motorräder um fast die Hälfte reduzieren. Das alles in weniger als 20 Jahren. Wie schaffen wir das?
Egger: Wenn wir mit dem Umrüsten im bisherigen Tempo weitermachen, dann haben wir keine Chance, die Ziele bis 2040 zu erreichen. Andererseits hat Südtirol schon bewiesen, dass es geht. Immerhin sind in den vergangenen 25 Jahren rund 1200 Heizungen jährlich an Fernwärmenetze angeschlossen worden – und zwar ohne Krisensituation im Nacken. Jetzt stehen wir aber vor einer gewaltigen Krise. Wenn diese letzte Chance der gesamten Gesellschaft bewusst gemacht wird und wir ordentlich loslegen, dann könnten wir es schaffen. Dazu müssten allerdings auch die Rahmenbedingungen schnellstens geändert werden. Vor allem muss erneuerbare im Vergleich zu fossiler Energie günstiger und attraktiver werden. Sonst zieht die Gesellschaft nicht mit.
KF: Erneuerbare Energie – welche Möglichkeiten sind für Südtirol attraktiv?
Egger: Bei Strom sehen wir das größte Potenzial in der Photovoltaik, zumal es bei der Wasserkraft kaum Ausbaumöglichkeiten gibt. Die Entwicklungsmöglichkeit von Windkraft ist hingegen sehr überschaubar. Was die Heizanlagen anbelangt,
sollte neben der massiven Steigerung der energetischen Sanierung die Zukunft den Wärmepumpen gehören, weil sie um etwa zwei Drittel weniger Primärenergie benötigen als zum Beispiel Gasheizungen. Die Voraussetzungen dafür sind aber noch dürftig. Die Fernwärme könnte noch ausgebaut werden, das muss aber von der langfristigen und nachhaltigen Verfügbarkeit von Biomasse im Land abhängig gemacht werden. Beim Verkehr geht es nicht nur ums Ersetzen, sondern wie erwähnt ums Reduzieren. Dort, wo Individualverkehr aber noch notwendig ist, ist die E-Mobilität zukunftsfähig, weil die Systeme extrem effi zient sind. Wasserstoff stellt hingegen keine gangbare Alternative beim Individualverkehr dar.
KF: Sie fordern einen massiven Ausbau der Photovoltaik, indem nicht nur fast alle Dächer, sondern auch Freiflächen genutzt werden. Sind die Solarpaneele tatsächlich der Schlüssel für die Energiewende?
Egger: Meine Antwort lautet eindeutig: Ja. Wenn wir unseren Lebensstandard halten möchten, gibt es keine Alternative. Die Photovoltaik hat ein sehr hohes Potenzial: Eine vor einigen Jahren durchgeführte Eurac-Studie hat ergeben, dass es in Südtirol so viele geeignete Dächer gibt, dass wir 1.250 Megawatt Photovoltaikstrom produzieren könnten. Das sind zwei Drittel des Bedarfes, den wir laut unseren Berechnungen brauchen werden.
KF: Und der Rest ...?
Egger: Der Rest muss auf Freifl ächen produziert werden, zum Beispiel durch Agri-Photovoltaik. Denn um so wenig Fläche wie möglich zu verbrauchen, sollte eine Doppelnutzung gegeben sein. Das heißt, die Paneele werden seitlich oder über der landwirtschaftlichen Fläche angebracht. Es gibt so gut wie keine Einschränkungen für die Arbeit auf dem Feld. Diese Art der Stromproduktion ist bereits von Forschungsinstituten getestet worden. Damit müsste man nur noch loslegen. Nutzen könnte man auch aufgelassene Deponien oder Konversionsflächen.
KF: Wären das alles öffentliche oder private Anlagen?
Egger: Wer der Betreiber welcher Anlagen ist und welche Gegenleistung ein Profiteur der Stromproduktion erbringen muss, das alles wäre Teil einer gesellschaftlichen Diskussion, die geführt werden müsste. Tatsache ist: Die EU schreibt den Mitgliedsstaaten bereits vor, dass zwei Prozent der Gesamtfläche für die Produktion von regenerativen Energien bereitgestellt werden müssen. Südtirol täte gut daran, proaktiv Flächen für Photovoltaikanlagen auszuweisen, um später nicht von einem staatlichen Gesetz überrollt zu werden und die Kontrolle über die zu nutzenden Flächen zu verlieren.
KF: Sollte man Ihrer Meinung nach auch denkmalgeschützte Gebäude bzw. Dächer für Photovoltaik nutzen?
Egger: Die gesamte Dachfläche von denkmalgeschützten Gebäuden ist im Verhältnis so klein, dass sie für das Erreichen der Klimaziele keine Rolle spielt. Bei der Diskussion um Photovoltaik auf denkmalgeschützten Häusern geht es eher um das persönliche Bedürfnis der Besitzer, ihren Beitrag für die Energiewende zu leisten.
KF: Wie sieht es eigentlich mit der Umweltfreundlichkeit bei der Produktion und Entsorgung von Photovoltaikpaneelen aus?
Egger: Photovoltaikpaneele haben eine Lebensdauer von mindestens 30 Jahren, wenngleich der Wirkungsgrad mit den Jahren etwas abnimmt. Das Material, das verbaut wird, ist außerdem zu einem sehr hohen Prozentsatz recycelbar. Leider wird es noch nicht regelmäßig der Wiederverwertung zugeführt, weil das zu teuer ist. Auch hier müssten sich die Rahmenbedingungen ändern. Die EU arbeitet derzeit an Mindestvorgaben, was das Recycling von PV-Anlagen betrifft. Werden diese mehr, wird sich eine Industrie entwickeln, die die wertvollen Sekundärrohstoffe wiederverwerten wird.
KF: Was halten Sie von Energiegenossenschaften, wie sie derzeit in Südtirol angepeilt werden?
Egger: Sehr viel. Sie stellen eine Demokratisierung der lebenswichtigen Ressource Energie dar. Das kann man nur unterstützen. Und man hat jüngst auch gesehen, dass die Genossenschaften am besten mit Krisen umgehen konnten. Allerdings gilt es aufzupassen, dass die Handhabe für diese Genossenschaften nicht zu bürokratisch wird.
KF: Was muss die Politik, auch in Südtirol, jetzt tun, um die Energiewende zu schaffen?
Egger: Als erstes muss sie eine massive Sensibilisierungs- und Informationskampagne auf allen Ebenen starten, um die sich fachkompetente Personen kümmern. Denn dem allergrößten Teil der Bevölkerung und zum Teil auch den politischen Entscheidungsträgern selbst ist noch nicht klar, was auf dem Spiel steht. Danach muss der Klimaplan mit konkreten Vorgaben und – ganz wichtig – mit Sektorenzielen verbindlich beschlossen werden. Sektorenziele bedeutet, dass jedes politische Ressort – Verkehr, Energieversorgung, Landwirtschaft, Bauwesen usw. – ein bestimmtes Rest-Kohlenstoffbudget mit einem wissenschaftlich fundierten Reduktionspfad bekommt. Dazu braucht es neben dem Klimaplan für jeden Bereich Gesetze, die verbindlich umgesetzt werden müssen. Zudem braucht es ein wissenschaftliches Monitoring, das kontinuierlich überprüft, ob die Reduktionspfade eingehalten werden. Denn was passiert, wenn man sich nur für etwas ausspricht und kein Gesetz dafür macht, sehen wir aktuell bei den Torfstichen. Wichtig wäre auch schnellstmöglich eine Umschichtung der fi nanziellen Mittel, um die Gewinnung erneuerbarer Energie noch viel mehr zu unterstützen.
Text: Edith Runer/Florian Trojer
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