Die Ziele des Heimatschutzes
Der Begriff „Heimatschutz“ wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Prof. Dr. Ernst Rudorff (geb. 1840 in Berlin, gest. am 31. Dezember 1916 in Lichterfelde) geprägt und dient seither als Oberbegriff für die Gebiete Naturschutz, Naturdenkmalpflege und Denkmalschutz.
Über Prof. Rudorff gäbe es eine ganze Menge zu berichten, an dieser Stelle möchte ich jedoch lediglich darauf hinweisen, daß Ernst Rudorff durch sein Wirken und durch seine Schriften zur ganzheitlichen Betrachtung in Umweltfragen aufgerufen hat, wobei es ihm nicht nur um das bloße Umfeld Natur, sondern um den Menschen in der Landschaft und um Gestaltung der Landschaft in Achtung vor Mensch und Natur ging.
Die eigentliche Geburtsstunde des Heimatschutzes in Tirol war im Jahre 1908, als durch den Traminer Kunibert Zimmeter (geb. am 16. Dezember 1872 in Tramin, gest. am 19. August 1952 in Innsbruck) der Verband für Heimatschutz in Tirol – als erste derartige Organisation in Österreich gegründet wurde.
Angeregt durch einen Bericht über die Heimatschutz-Bewegung anläßlich einer Tagung für Denkmalpflege kam Kunibert Zimmeter zur Einsicht, daß es dringend an der Zeit sei, „den tirolischen Charakter unseres Landes zu erhalten, das äußere Bild in Landschaft, Stadt und Dorf in seiner Eigenart zu wahren und auf das Volk einzuwirken, daß es tirolisch bleibe, seine Sitten und Gebräuche möglichst bewahre und die Jugend wieder im heimischen Sinne heranbilde“.
Es war Umweltschutz im weitesten Sinne, den sich die Gründer von damals zum Ziel gesetzt hatten: die heimische Landschaft vor den vielfältigen Angriffen, wie Zersiedelung usw. zu bewahren und die gewachsene Kulturlandschaft, insbesondere die schönen Bauten, vor Verschandelung und Vernichtung zu schützen. Aber es ging auch um die Bewahrung der Eigenart des Volkscharakters, wobei Trachten, Brauchtum, Volkstanz und Mundart ebenso bewahrt werden sollen, wie Volkslied und altes Sagengut.
Dem Beispiel Zimmeters folgend, wurde ebenfalls 1908 in Meran der erste Südtiroler Heimatschutzverein gegründet, dann folgten Bozen (1909), Lana (1910), Algund (1946) usw. In der Zeit des Faschismus mußten allerdings die Südtiroler Vereine ihre Tätigkeit einstellen und erst im Jahre 1949 wurde der Landesverband für Heimatpflege in Südtirol (heute HEIMATPFLEGEVERBAND SÜDRITOL) als Zusammenschluss aller Südtiroler Heimatschutz- und Heimatpflegevereine gegründet. Derzeit sind im Heimatpflegeverband Südtirol 37 Vereine zusammengefasst, die Gesamtmitgliederzahl beträgt 4.850.
Zu den Zielen des „Heimatschutzes“ zählen also der Naturschutz, die Denkmal- und die Baupflege. Besonders ist der Heimatpflegeverband dabei in den Bereichen Ensembleschutz und Erhaltung des charakteristischen Landschaftsbildes aktiv. Der Kampf gegen geplante Großprojekte, gegen Raubbau und Ausverkauf der Heimat gehört ebenfalls zu den täglichen Aufgaben des Verbandes.
Allzuoft wird heute noch „Heimat“ und auch „Heimatpflege“ mit sentimentalem Glanz und verklärtem Gestern verwechselt: Heimat als heile Welt. Rückwärtsgewandte Schwärmer, unverbesserliche Nostalgiker sind nur einige Bezeichnungen, mit welchen wir immer wieder konfrontiert werden. Dies ist ein grobes Missverständnis: Die heimatpflegerische Praxis ist sehr vielschichtig und vorausschauend! Ihre Tätigkeit ist in die Zukunft gerichtet. Dafür ist zwar manchmal auch der Blick zurück notwendig, denn aus den Fehlern der Vergangenheit können wir lernen und die heutige Situation besser erfassen. Es geht in der Heimatpflege aber nie um die Erhaltung des Alten, weil es alt ist, sondern weil es gut ist!
So z.B. versucht der Heimatpflegeverband durch den Schutz von bäuerlichen Kleindenkmälern einen Teil unseres kulturellen Erbgutes zu erhalten, dies nicht etwa um auf künstlichem Wege nostalgische Bilder herbeizuzwingen und die Realität dadurch zu verfälschen. Nein, es geht uns darum, den künftigen Generationen die besondere Eigenart unseres Landes zu bewahren.
Uns ist bewußt, daß die Zeit nicht angehalten werden kann, und das ist auch nicht unser Bestreben. Das Leben unserer Vorfahren war hart und beschwerlich, geradezu unmenschlich in manchen Situationen. Jede Generation hat über Jahrhunderte hinweg das Bild ihrer Heimat mitgestaltet und der Landschaft den Stempel ihrer Arbeit aufgedrückt.
Was jedoch heute an Veränderungen geschieht, ist in der Geschichte ohne Beispiel, sodaß wir es als unsere Aufgabe erachten, die an echten kulturellen Werten ärmer gewordene Gesellschaft im Sinne Kunibert Zimmeters zu sensibilisieren.
Südtirol war vor gar nicht allzu langer Zeit noch ein sehr armes Land und wie wir alle wissen, lebten viele Menschen besonders in den entlegeneren Gebieten nahezu an der Grenze des Existenzminimums. Den heutigen Wohlstand verdanken wir vor allem dem Tourismus, der mittlerweile bis in die hintersten Regionen unseres Landes vorgedrungen ist und unserem Land zu dem verholfen hat, was es heute ist. Doch auch Vorsicht ist geboten:
Denn leider ist der arroganten Industrialisierungspolitik des Faschismus eine mancherorts schrankenlose Tourismusstrategie gefolgt, die die vom Norden und Süden einfallenden Heere von erholungssüchtigen Urlaubern in die Winter- und Sommerquartiere lenkt, für die man gewisse Täler und Gegenden Südtirols als Reservate geopfert hat, nicht nur deren Natur, sondern auch deren Menschen. Das gigantische Unternehmen Tourismus mag zwar bis zu einem gewissen Grad seine Existenzberechtigung haben, doch wenn das vernünftige Maß überschritten wird, sind wiederum wir Heimatpfleger aufgerufen, den Zeigefinger zu erheben und zu mahnen!
Unser schönes Land wird in den meisten Werbebroschüren als „heile Welt“ feilgeboten. Das ist legitim und dient der Sache.
Gefährlich wird es, wenn begonnen wird, mit Werten hemmungslos umzugehen, für die wir uns tagtäglich einsetzen, und wir mit ansehen müssen, wie unsere eigene Kultur mit Füßen getreten wird. Die Wirtschaft darf nicht das Maß aller Dinge sein. Eine gesunde Umwelt und eine unversehrte Naturlandschaft wird Südtirol langfristig gesehen eine reichere Dividende bringen. Vernünftige Wirtschaftlichkeit ja, aber stets mit Respekt vor unserer gewachsenen Volkskultur.
Weder die in Werbebroschüren vorgetäuschte Urtümlichkeit unserer Naturlandschaft noch die darin zur Schau gestellte Boden- und Eigenständigkeit unserer Bevölkerung können über die Tatsache hinwegtäuschen, daß auch Südtirol schon längst auf dem Wege ist, seinem beschaulich-konservativen Eigenleben mehr und mehr zu entwachsen und daß in vielen Bereichen das Gespür für das rechte Maß verloren gegangen ist.
Den Heimatpflegern erwachsen daraus viele neue Aufgaben und Herausforderungen. Der Mensch und seine natürlich gewachsenen Gemeinschaftsformen müssen wieder vermehrt Mittelpunkt und Endziel aller schützerischen und pflegerischen Maßnahmen sein, denn der Fortbestand unserer Volkskultur wird weniger von der Befriedigung individueller Ansprüche abhängen, als vom Geiste, von dem sie getragen ist.
Josef Oberhofer
Verbandsgeschäftsführer a.D.