„Verkehr nimmt nicht zu, sondern wird erzeugt!“
Verkehrsplaner Hermann Knoflacher über Großprojekte, Hotspots, E-Autos und die Politik
Hermann Knoflacher ist eine Koryphäe der Verkehrsplanung. Als Raum- und Stadtplaner mit einem besonderen Blick auf die Mobilität ist er international anerkannt. Seine klaren Aussagen zur Verkehrspolitik sind in Vergangenheit oft kritisiert worden, aber die Entwicklung zeigt: Er hat recht behalten.
KulturFenster: Im Hinblick auf Olympia sind im Pustertal mehrere Großprojekte im Straßenbau geplant, u. a. eine doppelstöckige Kreuzung mit Kreisverkehr an der Kreuzung Olang, Umfahrungen, Straßenerweiterungen. Wie bewerten Sie diese Hermann Knoflacher: Solche Projekte erinnern mich an den wenig klugen Bauern, der den Wald schlägert, um zu Geld zu kommen. Und wenn ein Bauer Geld hat, stellen sich bei ihm gleich der Baumeister und der Maschinenhändler ein. Der eine baut ihm einen Stall, der für seinen Hof zu groß ist, und der andere verdreht ihm Maschinen, die er gar nicht braucht. Das Ende ist bekannt: Sein Vermögen, der Wald, ist weg, die Kühe musste er verkaufen, und der Hof gehört der Bank. Was im Pustertal passiert, ist nur viel schlimmer. Weil es für Olympia Geld gibt, wird das Vermögen des Landes, also die einmalige Landschaft, weiter zubetoniert und -asphaltiert, weil sich sofort die Baufirmen eingestellt haben und mit ihren Büros Lösungen anbieten, für die sie dort, wo man weitblickend und verantwortlich handelt, davongejagt würden. Ich bewerte diese Vorhaben aus der heute absehbaren Zukunft deshalb so: Man wird sie als Verbrechen gegen die Zukunft und den Klimawandel durch verlorene Chancen einstufen. Sie sind Akte der Heimatzerstörung..
KF: Wie soll man den sicher starken Ver kehr während der Olympischen Spiele dann organisieren?
Knoflacher: Olympische Spiele sind ein vor übergehendes Ereignis und kein Grund, nachhaltige Schäden durch unvertretbare Verkehrsbauten anzurichten. Man kann für die Dauer der Spiele den Verkehr so organisieren, dass man auf den Autoverkehr verzichtet. Ich habe an diesem Konzept bei den Winterspielen in Innsbruck gearbeitet. In dem Zusammenhang haben wir auch die Fußgängerzone Innsbruck realisiert. Sie sehen, wie überholt solche Straßenausbauprojekte schon sind.
Hermann Knoflacher hat Bauingenieurwesen, Mathematik und Vermessungskunde studiert, war ab 1975 bis 2007 Leiter des Institutes für Verkehrsplanung (und später auch Verkehrstechnik) an der Technischen Universität Wien, wo er als emeritierter Professor nach wie vor tätig ist. Er hat im Bereich Mobilität sehr viel geforscht und wurde mit zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet. |
F: Wie könnte man mit dem vorhandenen Geld gute Mobilitätslösungen für das Pustertal schaffen?
Knoflacher: Wenn man, wie in den Bedingungen zu diesen Projekten verlangt wird, den Transitverkehr nicht noch mehr ins Tal ziehen und Heimat erhalten will, dann ist die Erhaltung des Bestandes die einzig richtige Lösung. Oder wollen die Landesregierung und die Bürgermeister ihre Heimat mutwillig zerstören, weil ihnen nichts einfällt, um mit dem Geld zukunftsfähig zu investieren? Heimat ist diesen Technikern kein Begriff, den man achten muss, ebenso wenig wie die Natur. Eine zukunftsgerechte Investition der Millionen wäre, das Geld jenen Gemein den zu geben, die ihre Orte autofrei machen wollen. Das bringt wieder mehr Heimat in die Orte, stärkt die lokale Wirtschaft, bringt Arbeitsplätze zurück, erhöht die Lebensqualität und die Qualität des Tourismus. Im Pustertal gibt es nicht nur für diesen viel zu entdecken, wenn man zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs ist. Oder suchen die Touristen Beton, Asphalt, Autolärm, Abgase und Feinstaub?
KF: Sie verfolgen seit Jahrzehnten den Umgang mit dem motorisierten Individualverkehr in Südtirol. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Knoflacher: Ambivalent. Der Vinschgau hat schnell erkannt, welchen Schaden die geplante Schnellstraße anrichten würde und auch meinen Rat aus 1986 aufgegriffen, die Vinschgerbahn zu revitalisieren. Helmut Moroder hat daraus ein Vorzeigeprojekt gemacht, das auch für das Pustertal übernommen wurde. Die Bauordnung hat immer noch den Paragraphen 2 der Reichsgaragenordnung, mit dem die Städte und Ortschaften zerstört werden, weil bei jedem Bauvorhaben Autoabstellplätze vorgeschrieben werden. Auch statt der MeBo hätte es zukunftsfähigere Lösungen gegeben, und beim Transitverkehr glaubt man an das Märchen, dass ein Loch durch den Berg einen Lkw-Zug anlocken wird. Bahninvestitionen bringen nur durch Bahnhöfe Nutzen für die Menschen und die lokale Wirtschaft. Die Menschen im Susatal haben das schon begriffen und verteidigen ihre Heimat.
KF: Woran liegt es, dass nicht nur der Schwer-, sondern auch der motorisierte Individualverkehr ständig zunimmt?
Knoflacher: Beides sind künstliche Systeme und nehmen nicht zu, sondern werden erzeugt, indem man weiter an dem Umbau Südtirols von einer Region der Menschen in eine Region der Autofahrer arbeitet – wie nahezu noch überall sonst.
KF: Südtirol ist ein gebirgiges Land mit vielen Ortschaften in Tälern bzw. weitab von den Knotenpunkten. Viele müssen in die Städte zum Arbeiten oder wollen in die Berge. Wo muss an gesetzt werden, damit all diese Menschen weniger Auto fahren?
Knoflacher: Reduziert man die Autoabstellplätze in den Städten und an den sogenannten Hotspots, kann man beide mit dem öffentlichen Ver kehr, dem Fahrrad und zu Fuß erreichen. Das stärkt die Städte und die Hotspots für die Zukunft; und mit dem Auto – bis zur nächsten Haltestelle. Täler haben gegenüber der Fläche den Vorteil, dass sich der Verkehr auf einer Linie konzentrieren muss, was für den öffentlichen Verkehr ideale Voraussetzungen schafft – wenn man mit dem Verkehrssystem qualifiziert umgehen kann und nicht nur Beton und Asphalt im Kopf hat.
KF: Südtirol will bis 2040 klimaneutral werden. Wer muss wann was tun, damit wir das erreichen? – Immer im Hinblick auf den Verkehr.
Knoflacher: Sie haben den Klimaplan 2040. Und der wird ja wohl für alle gelten! Vom Kind bis zu den Großeltern, von Wirtschaft und Gemeinden bis zur Landesregierung. Darauf können sich alle einstellen, wenn sie wissen, dass Fußgänger und Radverkehr klimaneutral sind, der öffentliche Verkehr bedingt und der Autoverkehr nicht. Jeder Quadratmeter mehr für den Autoverkehr widerspricht den Zielen des Klimaplans – nicht nur in Südtirol.
KF: Was halten Sie von E-Autos als Alternative zum Verbrenner?
Knoflacher: Das ist ein geschicktes Geschäftsmodell der Autoindustrie und ein Beruhigungsmittel für systemunkundige Autofahrer, die vielleicht vergessen haben, dass auch E-Autos nicht geboren, sondern erzeugt werden und daher einen großen ökologischen Rucksack mitführen. Das Problem der E-Autos ist das Auto. Der E-Pkw ist kein Beitrag zum Klimaschutz und noch weniger zur Heimatpflege. Er behindert die Entwicklung der anderen zukunftsfähigen Verkehrsträger durch seine Platzansprüche, die Unfallrisiken und die Subventionsgelder.
KF: Um etwas zu verändern, muss man riskieren, unbeliebte Entscheidungen zu treffen. Aber: Welcher Politiker will schon unbeliebt sein? Ist das also realistisch?
Knoflacher: Regieren hieß früher, vorausschauende Maßnahmen umsetzen, um zukünftige Probleme, die man erkannt hat, zu vermeiden. Ich war persönlicher Berater des österreichischen Ministers Karl Lausecker, der die Transitabgabe zu einer Zeit eingeführt hat, als die Bevölkerung in Nordtirol noch dagegen war und die streikenden Lkw-Frächter unterstützte. Ein Politiker hat sich durch verantwortbare Maßnahmen beliebt
zu machen, nicht durch falsche Versprechen systemunkundiger Techniker. Was gestern realistisch schien, hat sich als falsch und gefährlich erwiesen. Die heutigen Vorgaben der Klimaziele und die Notwendigkeit, die Heimat vor der Zerstörung zu bewahren, erfordern ein Um- und Vorausdenken, dem jene nicht gewachsen sind, die sich nach der Fortsetzung der Naturzerstörung für das Autofahren gewöhnt haben.
KF: In Demokratien ist es charakteristisch, dass unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen. Wie schafft man gesellschaftlichen Konsens für die Verkehrswende?
Knoflacher: Der Mensch, sagt man, sei ja mit Vernunft ausgestattet. Für vernünftiges Handeln braucht man Zeit. Nimmt man sich diese nicht, bleibt die Vernunft auf der Strecke. Womit wir wieder am Anfang Ihrer Fragen wären.
Interview: Edith Runer
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