Es besteht Handlungsbedarf - jetzt!
Prof. Stefan Zerbe über die gefährdete Ressource Wasser
Kaum ein Thema hat uns in den vergangenen Monaten derart beschäftigt wie das Wasser. Der Grund: Es war keins da, oder zumindest nicht genug, um es gedankenlos und in gewohntem Maß zu verbrauchen. Für den Heimatpflegeverband Südtirol ist der diesjährige trockene Sommer Anlass, um der Ressource Wasser und ihrem Einfluss auf Landschaft und Menschen breiten Raum zu geben.
Wir haben bei Stefan Zerbe nachgefragt. Er ist Professor für Landschaftsökologie an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik der FreienUniversität Bozen. Er erklärt, was sich in Südtirol ändern muss, damit wir nicht eines Tages im Trockenen stehen. Als Wissenschaftler ist er keiner Lobby unterstellt, mit Ausnahme jener der Natur.
In Südtirol ist das Wasser im vergangenen Sommer sehr knapp geworden. War das ein Aufschrei der Natur – „hallo, hier spricht der Klimawandel“?
Einzelereignisse wie ein „Zuviel“ an Wasser, etwa durch Starkregen, oder ein „Zuwenig“ mit längeren Trockenperioden hat es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder gegeben. Doch mittlerweile ist unzweifelhaft nachgewiesen, dass diese Extremereignisse in den vergangenen Jahrzehnten weltweit stark zugenommen haben. Der vom Menschen gemachte Klimawandel wird damit augenscheinlich. Ich sehe diese Periode des überregionalen Wasserdefizits als Signal des Klimawandels und leite hieraus die dringende Notwendigkeit zumraschen umweltpolitischen Handeln ab.
Wie beurteilen Sie als Wissenschaftler die aktuelle Gesamtsituation in Sachen Wasser in Südtirol?
Südtirol hat in den vergangenen Jahrzehnten eine beachtliche Negativbilanz in Sachen Wasser angehäuft, insbesondere in den intensiv genutzten Tallagen. Bäche und Flüsse wurden verbaut oder verrohrt, Flächen versiegelt, und Feuchtgebiete sind verschwunden oder stark geschädigt wurden. Dazu kommen intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen und die hohe Zahl der Touristen – beide Faktoren tragen zu hohem Wasserverbrauch bei, ebenso der Kunstschnee im Winter. Pestizide sowie mineralische Dünger verunreinigen
das Grund- und Oberflächenwasser. Das ist die Kehrseite.
Es gibt auch Positives zu berichten, aber dieNegativbilanz kann dadurch nicht kompensiert werden. Gut ist beispielsweise, dass in Südtirol StromausWasserkraft gewonnen wird. Erfreulich ist auch, dass die starken Eingriffe in Gewässersysteme in der Vergangenheit heute durch die Landesabteilung „Flussraummanagement und Fließgewässerentwicklung“ mit Renaturierungsmaßnahmen wieder zurückgenommen werden.
Das betrifft bisher aber nur wenige und kurze Bach- bzw. Flussabschnitte.
Zumindest lässt sich durch diese Projekte und durch die Wiederherstellung von naturnahen Ökosystemenmit ihrer natürlichen Dynamik erkennen, was der Gesellschaft hinsichtlich Biodiversität und Ökosystemleistungen in den vergangenen Jahrzehnten in den Bach- und Flussauen verloren gegangen ist. In jedem Fall weisen all diese Plakativen Beispiele darauf hin, dass Südtirol ein sehr ambivalentes Verhältnis zur Umweltressource Wasser hat.
Wie lange werden wir mit dem Wasser noch so „leger“ umgehen können, wie wir es zurzeit tun? Und vor allem: Was kommt danach?
Die Frage nach dem „Wie lange“ stellt sich für mich als Landschaftsökologen nichtmehr. Es besteht bereits jetzt ein akuter Handlungsbedarf, und es gilt, konsequent nachhaltige Lösungsansätze zu suchen und umzusetzen, sowohl was die Qualität als auch die Quantität von Wasser anbelangt. Ich bin für ein Belohnungssystem: Eine nachhaltige Nutzung bzw. eine Einsparung der Ressource Wasser muss anerkannt, die Folgekosten für erhöhten Wasserverbrauch und Wasserverschmutzung, die bisher der Allgemeinheit aufgebürdet werden, müssen hingegen nach dem Verursacherprinzip den Verantwortlichen angelastet werden. Eine kohärente Nachhaltigkeitsstrategie für Südtirol, die neben Wasser alle natürlichen Ressourcen der belebten (z.B. Flora und Vegetation) und unbelebten Umwelt (Wasser, Boden, Luft) umfasst und frei von ökonomischen und politischen Partikularinteressen ist, lässt sich bisher allerdings nicht erkennen.
Kein Gletscherwasser, weniger Niederschläge oder zumindest schlecht verteilt – können Sie anschaulich erklären, was „weniger Wasser“ für uns als Einzelne, aber auch als Gesellschaft bedeutet?
Wie sich eine Trockenperiode auf naturnahe Ökosysteme auswirkt, konnte man in diesem Sommer an den Waldbeständen der unteren Berghanglagen um Bozen herum beobachten, die sehr starke Trockenschäden aufweisen. Ob sich diese Bäume wieder erholen, bleibt zu beobachten. Bei anhaltender Dürre auch in den kommenden Jahren wird möglicherweise der naturnahe Laubmischwald an den Porphyrhängen einer niedrigen Buschvegetation weichen müssen. Zudem kann es nach solch langen Trockenperioden viel rascher zu Waldbränden kommen.
Trockenperioden während der Vegetationszeit werden insbesondere jene treffen, die ihre Anbaumethoden von einer kontinuierlich hohen Wasserversorgung abhängig gemacht haben. Privathaushalte werden Einschränkungen in der Wassernutzung und im Verbrauch hinnehmen müssen.
Was können Bürger oder was die Gemeinden schon jetzt tun?
Wenn die Gemeinden in Südtirol nicht auf die unerträgliche Langsamkeit der Landesregierung in Sachen Klimaschutz und Klimaanpassung warten
wollen, können sie bereits jetzt aktiv werden. Die Gemeinden könnten beispielsweise ein Bürgerplenum einrichten, in das Vorschläge zur Wassereinsparung eingebracht und diskutiert werden. Dieses Plenumkönnte zusammenmit Experten Strategien zur effizienten Wassernutzung und zur lokalen Renaturierung von Feuchtgebieten bzw. naturnahen Wasserspeichern entwickeln.
Interview: Edith Runer
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